Fotocredit: Inka Junge
Natalya Nepomnyashcha ist Gründerin und Geschäftsführerin von Netzwerk Chancen. 2016 rief sie in Berlin diese gemeinnützige und überparteiliche Initiative ins Leben, um sich für Chancengleichheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus finanzschwachen und bildungsfernen Familien einzusetzen. Die Idee für Netzwerk Chancen kam nicht von ungefähr: Natalya hatte und hat aus ihrer eigenen Biographie heraus das dringende Bedürfnis, unser Bildungssystem bzw. den Arbeitsmarkt in Deutschland nachhaltig zu verändern.
Im Gespräch mit uns hat sie klar auf den Punkt gebracht, was sich ändern muss und von ihren persönlichen – großen und kleinen – Chancen erzählt.
Natalya, ist es richtig, wenn ich sage, dass Du als
Arbeiterkind mit ukrainischen Wurzeln in Deutschland keine Chance
hattest und sie genutzt hast?
Jein. Ich hatte Chancen, aber ganz sicher nicht die gleichen wie viele Millionen Akademikerkinder in Deutschland.
Gab es auf deinem Weg irgendeinen Punkt, an dem du doch deine Chance gesehen hast?
Mit 21 machte ich den Abschluss als staatlich geprüfte Übersetzerin.
Diesen hatte ich ohne Abitur an einer Fachakademie erworben.
Gleichzeitig wurde dieser Abschluss in Großbritannien als ein
undergraduate degree (also ein Bachelor) anerkannt. So konnte ich dort
mit 22 meinen Master of Arts machen. Das war eine große Chance.
Gab es Menschen oder eine bestimmte Person – in deinem Umfeld oder von außen – die dich unterstützt haben?
Beim Thema Berufseinstieg und Karriere war es auf jeden Fall Ferry
Pausch. Mit 22 erhielt ich ideelle Förderung der Deutschlandstiftung
Integration. Ferry war damals Geschäftsführer der Stiftung und war immer
für mich da, wenn ich Kontakte oder Ratschläge gebraucht habe. Er
glaubte an mich, als ich es selbst noch nicht ganz tat.
Hast du in deiner Schulzeit bei dir und/oder bei anderen
Kindern bewusst soziale Ausgrenzung erlebt? Bzw. wie hast du sie erlebt?
Allein die Tatsache, dass ich mit 12 Jahren auf eine Realschule
geschickt wurde, weil man der Meinung war, dass ich ein Gymnasium nicht
schaffen würde, war eine Ausgrenzung. Auf der Realschule selbst bestand
die Ausgrenzung eher darin, dass ich mich nicht in Markenklamotten
kleiden und auch nicht mithalten konnte, wenn es um eine “coole”
Freizeitgestaltung ging. Dafür hatten meine Eltern einfach kein Geld.
Und wenn man als Jugendlicher nicht “dazugehört”, kann sich das auch
generell auf die schulische Motivation niederschlagen. Hier braucht es
gute Konzepte, z. B. der Schulsozialarbeit, um Kinder und Jugendliche
individuell aufzufangen.
Welche wichtigen strukturellen Veränderungen müssen deiner
Meinung nach vorangetrieben werden, damit Kinder – egal aus welcher
Familie sie kommen – ihre Talente entfalten können?
Wir brauchen individuelle Förderung von der Geburt bis zum
Berufseinstieg. Diese muss Startnachteile von Kindern aus bildungsfernen
Familien ausgleichen und ihre Stärken gezielt entwickeln und fördern.
Es kann nur gelingen, wenn von der Krippe bis zur Oberschule und den
Berufsberatungen überall stark personell aufgestockt wird. Gleichzeitig
muss das mehrgliedrige Schulsystem abgeschafft werden. Zahlreiche
Studien zeigen, dass die Aufteilung auf verschiedene Schularten häufig
nichts mit der Kompetenz und Intelligenz der Kinder zu tun hat, sondern
vor allem mit sozialer Herkunft. Viel mehr talentierte junge Menschen
würden ihre Chancen nutzen, wenn sie bis zum Abitur auf einer Schule
bleiben können, sofern sie das wollen und die Leistungen dafür
erbringen.
Was wünschst du dir für deine eigene berufliche Laufbahn?
Ich möchte mich weiterentwickeln und verantwortungsvolle Aufgaben
übernehmen. Dafür ist es wichtig, dass ich trotz meiner sozialen
Herkunft Selbstbewusstsein und Kompetenz ausstrahle. Mit Netzwerk
Chancen möchte ich natürlich weiterhin dazu beitragen, dass die Welt ein
Stückchen besser wird.
Was macht dich glücklich?
Neues zu schaffen und mich mit inspirierenden Menschen zu umgeben.
Was regt dich richtig auf?
Menschen, die dick auftragen und nur heiße Luft verbreiten, hinter der weder Leistung noch Ergebnisse oder Impact stecken.